22 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 12: Selbst ist der Versuch

Deutschland ist desorientiert, auch vier Tage nach der Wahl. Und warum sollte es in unserer Teeküche anders sein? Der Macho-Trend ist abgeflaut, die meisten Probanden sind zu ihrem üblichen Trott zurückgekehrt.

Allerdings mit einer spürbaren Resignation:

Ein Kollege steht satte 10 Minuten in der Küche und starrt teilnahmslos auf den Kaffee-Automaten, unfähig, sich zwischen "Schwarz", "Milch" und "Zucker" zu entscheiden.
Schließlich lässt er seine Tasse stehen und trollt sich unverichteter Dinge. Im Türrahmen hält er noch einmal inne, blickt zurück zu seiner Tasse und murmelt dann halblaut: Ob ich die jetzt einräume oder nicht ... wen juckt's?


Kein Wunder. Schließlich sind wir alle seit Sonntag wieder um eine Illusion ärmer. Du dachtest, auf deine Stimme kommt es an? Willkommen in der Realität!

Solange dieses lähmende Machtvakuum anhält, werde ich meine Probanden jedenfalls mit weiteren Experimenten verschonen.

Stattdessen starte ich einen gewagten Selbstversuch: Ich entferne mich bewusst aus meinem Arbeitsbiotop, und zwar für gute zwei Wochen. Und wenn ich dann wiederkomme, schau'n wir mal, ob sich meine Weltsicht aufgehellt hat.

19 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 11: Machismo rules!

Die grosse Politik hat nichts mit unserem täglichen Leben zu tun?! Von wegen!

Ich kann das Gegenteil beweisen: Solange die Chance bestand, dass dieses Land demnächst von einer gestrengen Protestantin regiert wird, kuschten alle und machten auf Hausmann. Unsere Teeküche war geradezu ein Hort der Reinlichkeit geworden.

Und dann, keine 24 Stunden nach dieser Boulevardkomödie von Bundestagswahl, muss ich mit ansehen, wie meine gelehrigen Probanden im Zeitraffertempo regredieren. Gerhard braucht bloss einmal in der Elefantenrunde die Sau rauszulassen, und schon vergessen meine Kollegen (und Kolleginnen!) kollektiv ihre Kinderstube. In der Teeküche sieht's jedenfalls wieder aus wie bei Schröders unterm Sofa (siehe Bild). Vielleicht ist am Top-Down Prinzip (s. Teil 10) ja doch was dran?

Ich fordere jedenfalls umgehend Neuwahlen!

16 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 10: Bottom-Up

Ich hab' den Yeti gesehen.

Also, nicht wirklich DEN Yeti. Aber was genauso Unglaubliches. Ich komme gleich darauf zurück.

Im fünften Teil hatten wir gelernt, dass Wissen sich in Hierarchien prinzipiell nur von oben nach unten verbreitet. Jedenfalls in Affenhorden. Beim Menschen liegt die Sache angeblich weniger eindeutig, weshalb Management-Trainer zwei konkurrierende Prinzipien der Wissenweitergabe erfunden haben. Besser gesagt: sie haben für zwei ziemlich alte Hüte schöne neudeutsche Namen erfunden.

1. Das Top-Down-Prinzip, ursprünglich Hackordnung, preussische Disziplin, Befehlskette oder Order-de-Mufti: Der Chef sagt, wo's lang geht, alle anderen machen.

2. Das Bottom-Up-Prinzip, aka Ursuppe, aka Evolution, aka Commune, aka Grassroots: im allgemeinen Gewimmel ensteht viel Neues. Und wenn es was taugt, setzt es sich durch. Bis an die Spitze.

Ich gebe zu, ich war bisher eher skeptisch, was die Wirksamkeit des Prinzips Ursuppe in grösseren Unternehmen angeht. Aber ich wurde bekehrt. Ich habe heute morgen mein Damaskus erlebt.

Womit wir wieder beim Yeti wären. Der natürlich gar kein Yeti war, sondern ein CD. Für alle, die nicht in der Werbung arbeiten: das heisst Creative Director und bezeichnet einen Posten ziemlich nahe am oberen Ende der Nahrungskette.

Diese Führungskraft räumte ihr Kaffeegeschirr in die Spülmaschine. Tasse, Untertasse und Teller. Freiwillig.

Und darauf ist er mit Sicherheit nicht von alleine gekommen. Er muss es bei einem der rangniederen Probanden beobachtet haben (am Ende sogar bei der gelehrigen Praktikantin aus Teil 5).

Was für ein Triumph des Bottom-Up-Prinzips. Was für ein Hoffnungsschimmer für die Geknechteten aller Länder. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - wenigstens vor der Spülmaschine.

15 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 9: Von Pavlov zu Maslow

Nach anfänglichem Spott (s. Teil 8) hat sich das neue Schild als echter Turbo-Motivator erwiesen. Und das fällt nicht nur mir auf. Ich protokolliere ein Teeküchengespräch (von vielen ähnlichen):

Mitarbeiterin 1 brüht sich einen Tee auf.
Mitarbeiterin 2 betritt die Küche.

Mitarbeiterin 2: Wow. Das is' ja so sauber hier.

Mitarbeiterin 1: Kannste mal sehen, was man mit der Androhung von schlechtem Sex alles erreichen kann.

Beide kichern. Und hinterlassen die Küche so tadellos, wie sie sie vorgefunden haben.


Ich klopfe mir innerlich heftig auf die Schulter und beginne, an Wunder zu glauben. Oder wenigstens an die moderne Verhaltensforschung.

Denn was meine Probanden nicht ahnen: Das Hinweisschild macht sich auf subtile Weise die Maslowsche Bedürfnispyramide zunutze. Welche besagt, dass zivilisatorisch hochwertige Bedürfnisse (wie Spülmaschineneinräumen) erst dann als dringlich empfunden werden, wenn kreatürliche Grundbedürfnisse (wie z.B. Sex) befriedigt sind.

Mit anderen Worten: meine Probanden interessieren sich nur dann für die Spülmaschine, wenn sie a) bereits Sex hatten oder b) sich vom Einräumen Sex erhoffen dürfen.

Nach der blitzblanken Küche zu urteilen, herrscht hier im Moment entweder eine allgemeine, tiefe Befriedigung. Oder eine ziemlich heftige Erwartungshaltung was das amouröse Potential der näheren Zukunft begrifft.

14 September 2005

Schwer hörig.

Die Geschmäcker sind verschieden, über Geschmack lässt sich streiten ... Sprichworte gibt's zu dem Thema viele. Nur nichts wirklich Hilfreiches.

Vor allem, wenn der einzige gemeinsame musikalische Nenner von drei Leuten das iTunes auf ihrem Rechner ist, und diese drei Leute sich ein Büro teilen. Wenn das so weitergeht, müssen wir demnächst irgendeinen Vermittlungsausschuss anrufen, damit er uns ein verbindliches Line-up fürs Büro macht.

Bis dahin: Herr, wirf Oropax vom Himmel.

Die Tassen-Theorie, Teil 8a: Peitsche


Vielleicht ist Lob doch die falsche Strategie?

Die Tassen-Theorie, Teil 8: Zuckerbrot

Schon später vormittag, und die Küche ist immer noch wie geleckt.

Ich finde, meine Probanden haben eine Belohnung verdient. Also spendiere ich ein neues Motivationsschild.

Leider ist meine Handykamera nicht die schärfste, deshalb hier der Text nochmal in lesbar:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zahlreichen Studien belegen: Ordentliche Menschen leben länger, haben mehr Spass und öfter besseren Sex.

Ihr seht, Spülmaschine einräumen lohnt sich.


Also wenn das nicht den endgültigen Durchbruch bringt, dann weiss ich auch nicht weiter.

12 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 7: Brain Jogging

Fahrrad fahren verlernt man ja angeblich nicht mehr, wenn man's mal kann. Für Haushaltstätigkeiten scheint das nicht zu gelten.

Meine lieben Kollegen vergessen mühsam antrainierte Verhaltensweise jedenfalls mit atemberaubender Geschwindigkeit. Besonders am Wochenende. Und Montags sieht die Teeküche dann so aus, dass ich heute lieber kein Foto poste.

Also gebe ich wieder das gute Vorbild ab und räume die Maschine ein.

Prompt betritt eine Kollegin die Küche.

Aaaah, der perfekte Hausmann.
Aber guck mal, die Tasse musst du da oben rein tun, sonst klappert das.


Und weg ist sie.

Ich freue mich, dass wenigstens ein bisschen Theorie hängen geblieben ist.
Derart motiviert, traue ich mich sogar, die Maschine erstmals selbst laufen zu lassen, quasi als Selbsterfahrung für kommende Lektionen.

09 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 6: Der Rückfall

Zwei Tage durfte ich mich im Glanz meines didaktischen Triumphes sonnen, dann war's wieder Essig, siehe Bild.

Mildernd sei angemerkt, dass sich dieser unappetitliche Haufen erst spät am Nachmittag angesammelt hat. Wahrscheinlich erstens, weil ich noch zu siegestrunken war, um rechtzeitig einzuschreiten. Und zweitens, weil die Spülmaschine voll war.

Meine lieben Probanden hätten die Maschine also nicht nur meisterhaft einräumen, sondern auch noch in Gang setzen müssen.

Ich wittere eine neue, ungleich grössere Herausforderung!

07 September 2005

Die Tassen-Theorie, Zwischenbilanz


Kurz vor Feierabend, und die Teeküche sieht aus wie geleckt.

Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie Konrad Lorenz im Grab vor mir den Hut zieht.

06 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 5: Erste Erfolge

Haltet euch fest: jemand hat die Spülmaschine eingeräumt! Freiwillig!
Doch, wirklich, ich habe es selbst gesehen! Jetzt muss sich das neu erlernte Verhalten nur noch in der lokalen Population verbreiten.

Dafür stehen die Chancen aber leider nicht gut. Denn das gelehrige Individuum ist Praktikantin - und die Weitergabe von Wissen erfolgt ja bekanntlich streng hierarchisch von oben nach unten. In gut erforschten Affengruppen ist das jedenfalls so.

Soll heißen: wenn man will, dass eine Affenhorde etwas lernt, muss man es dem Oberaffen beibringen. Denn nur Oberaffen-Verhalten wird von den rangniederen Mitgliedern der Gruppe als vorbildlich angesehen und kopiert.

So weit die Theorie. Wo kriege ich jetzt einen Vorstandsbeschluss für unseren Spülfrass her?

Die Tassen-Theorie, Teil 4: Mimikry

Eben ertappe ich einen Praktikanten mit seiner Schmuddeltasse.

- Wieso er die nicht in die Maschine räumt?!?
- Was für eine Maschine?

Ooops, daran hatte ich nicht gedacht: unsere Teeküche ist mit einer hochmodernen Designer-Spülmaschine ausgestattet. Kein Knopf, keine Leuchte aussen auf der Front. Ein wahres Küchengeräte-Chamäleon, für das ungeübte Auge nur schwer von den restlichen Küchenschränken zu unterscheiden.

Ich modifiziere den Versuchsaufbau erneut: Nach jedem Einräumen lasse ich die Klappe der Maschine einen Spalt weit offen, als Orientierungshilfe und Aufforderung zugleich.

P.S. Das ist, streng genommen, gar keine Mimikry, sondern Mimese.

05 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 3: Vorsicht O-Saft!

Wer nicht arbeitet, soll sich wenigstens gut rausreden. Oder wenigstens besser, als es eine liebe Kollegin gerade versucht hat.

Szene: Tag, innen. Unsere Teeküche.

Die Spülmaschine ist weit geöffnet, schmutziges Geschirr ist sichtbar. Der Autor dieser Zeilen verstaut gerade eine letzte Tasse im oberen Spülkorb.
Auftritt: Eine Kollegin. Sie hat zwei benutzte Gläser in Händen.

Kollegin: Der Kaffee ist heute wieder sowas von mies.
Autor: mhm.

Sie stellt die beiden schmutzigen Gläser auf die Arbeitsfläche.

Kollegin: Ich lass die erst mal hier stehen. Da war Orangensaft drin. (geht hinaus)


Ist klar. Gläser, in denen Orangensaft war, lässt man stehen. Erstmal wenigstens. Hatt' ich ganz vergessen.

Ich sehe ein, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Und räume die O-Saft-Gläser in die Spülmaschine.

02 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 2

Habe gerade wieder die Spülmaschine eingeräumt, zum vierten Mal heute. Ist das jetzt Einbildung und Wunschdenken, oder werden die Stapel tatsächlich von Mal zu Mal etwas kleiner?

01 September 2005

Die Tassen-Theorie, Teil 1

Meine Arbeitskollegen ahnen nichts davon, aber ich betreibe seit einiger Zeit Verhaltensforschung, und zwar in unserer gemeinsamen Teeküche.

Ziel des Versuches: durch subtilen Einsatz moderner Kriminalpsychologie das Verhalten von mehr als 20 erwachsenen Personen nachhaltig zu verändern.

Vor Beginn des Experiments war offenbar niemand in der Lage, seine benutze Kaffeetasse in die bereitstehende Spülmaschine einzuräumen. Also stapelten sich spätestens am frühen Nachmittag massenweise schmierige Tassen in und neben der Spüle.

Versuch 1 bestand darin, zunächst rein verbal an die Einsicht der Probanden zu appelieren, mittels eines Hinweis-Schildes "Bitte stellt euer benutztes Geschirr in die Spülmaschine".

Das Ergebnis war ernüchternd: der tägliche Geschirrstapel blieb so hoch und eklig wie eh und je. Heute werde ich den Versuchsaufbau ändern, indem ich die Stapelbildung schon im Keim unterbinde. Dazu räume ich mehrmals täglich das herumstehende Geschirr in die Spülmaschine. Mal sehen, ob das mehr bringt.